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Stellungnahme der KZV LSA zu möglichen Zulassungsbeschränkungen

Im Rahmen der Landtagsberatung zum Antrag der Fraktion Die Linke (Drs. 8/3734) sowie des Alternativantrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drs. 8/3769) zur zahnärztlichen Versorgung in Sachsen-Anhalt am 23.02.2024  hat Ministerin Petra Grimm-Benne eine Einschätzung der Situation der vertragszahnärztlichen Versorgung in Sachsen-Anhalt abgegeben und mögliche Lösungsansätze dargelegt. Unter anderem möchte die Ministerin eine länderübergreifende Initiative zur Wiedereinführung von Zulassungsbeschränkungen in der vertragszahnärztlichen Versorgung anstoßen.

Der Vorstand der KZV Sachsen-Anhalt, Dr. Jochen Schmidt, hat hierzu am 27.02.2024 wie folgt Stellung genommen:

Sehr geehrte Frau Ministerin,

im Rahmen der Landtagsberatung zum Antrag der Fraktion Die Linke (Drs. 8/3734) sowie des Alternativantrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drs. 8/3769) zur zahnärztlichen Versorgung in Sachsen-Anhalt am 23.02.2024 haben Sie eine Einschätzung der Situation abgegeben und mögliche Lösungsansätze dargelegt, die ich nicht unkommentiert stehen lassen kann.

In Ihren Ausführungen rekurrieren Sie zunächst auf den aktuell von uns veröffentlichten Versorgungsatlas 2030 in 2., überarbeiteter Auflage. Nennenswert ist für Sie in diesem Zusammenhang jedoch nur, dass der landesweite durchschnittliche Versorgungsgrad zuletzt bei 102,9 % lag und landesweit im Jahr 2030 ein Versorgungsgrad von 74,1 % erwartet wird. Dass in einzelnen Planungsbereichen dieser Wert bereits jetzt erreicht bzw. unterschritten ist und die Versorgungsrealität in weiten Teilen des Landes deutlich entfernt von optimal ist, findet Ihrerseits jedoch genauso wenig Erwähnung wie unsere Prognose, die klar und deutlich zeigt, wie viele Menschen im Land bis 2030 in ein Versorgungsloch fallen werden und wie viele erforderliche Zahnärztestellen aktuell und in Zukunft unbesetzt sind bzw. sein werden. Möglicherweise konnten Sie sich bislang noch nicht in aller Tiefe mit den Inhalten unseres Berichtes auseinandersetzen. Da Sie im Weiteren aber erneut erklären, dass Ihrerseits zwischen einem rechnerischen Versorgungsgrad von 50 und 100 Prozent „gesetzgeberisch kein bedarfsplanerischer Handlungsbedarf gesehen“ wird, befürchte ich, dass Sie die aktuellen und künftigen Probleme in der zahnärztlichen Versorgung in Sachsen-Anhalt weiterhin nicht anerkennen wollen.

Wir haben Ihnen in diversen Diskussionen und in jeder schriftlichen Kommunikation erläutert, dass Versorgungsgrade, wie sie derzeit laut G-BA-Richtlinie ermittelt werden (müssen) nur eine unzureichende Darstellung des tatsächlichen Versorgungszustands im Land erlauben. Der Ihnen vorliegende Versorgungsatlas zeigt allerdings deutlich, dass sich bis 2030 – sogar rechnerisch – eine massive Versorgungslücke in Sachsen-Anhalt auftut.

Auch nachdem hunderte Zahnärztinnen und Zahnärzte mit ihren Praxisteams bei einer gemeinsamen Kundgebung vor dem Landtag am 28. Juni 2023 ihren Unmut über die zunehmende Versorgungskrise im Land geäußert haben, bestreiten Sie, dass in Sachsen-Anhalt bereits ein akuter Versorgungsengpass aufgrund von Nachwuchsmangel, überbordender Bürokratie und mangelnder Wertschätzung für die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen im Bereich der zahnmedizinischen Versorgung besteht.

Über die letzten Jahre hinweg haben sich zunehmend mehr gesetzlich Krankenversicherte an die zahnärztlichen Körperschaften, insbesondere an die Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt gewandt, weil ihre Suche nach einer Zahnarztpraxis, die sie als Neupatienten aufnehmen kann, erfolglos blieb. Auch das spiegelt die aktuelle Krise wider, wird in Ihrer Einschätzung aber nicht zur Kenntnis genommen. Meines Wissens nach sind auch in Ihrem Ministerium ähnlich gelagerte Anfragen – auch aus Regionen, in denen der Versorgungsgrad rechnerisch sogar noch deutlich über 100 % liegt – eingegangen.

Es stellt sich mir die Frage, warum Sie im Gegensatz zu Ihren Amtskollegen in benachbarten Bundesländern – etwa Thüringen und Sachsen, die landeseigene Förderprogramme bereits aufgelegt haben oder im Begriff sind, dies zu tun – keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sehen. Es scheint, dass anderswo die tatsächlichen Gegebenheiten wahrgenommen werden und man im Wettbewerb um junge Zahnärztinnen und Zahnärzte nicht in Rückstand geraten möchte. Im Sinne der Daseinsvorsorge trägt auch die Politik Verantwortung dafür, die Sicherstellung der zahnärztlichen Versorgung zumindest zu unterstützen.

Noch mehr irritiert bin ich jedoch darüber, dass Sie Zulassungsbeschränkungen als probate Maßnahme ins Auge fassen, um das Nachwuchsproblem zu lösen. Glauben Sie tatsächlich, dass wir durch die Regulierung von Niederlassungen mehr junge Menschen für den Beruf des Zahnarztes und die zahnärztliche Tätigkeit in Sachsen-Anhalt begeistern können? Gehen Sie tatsächlich davon aus, dass mehr junge Zahnärztinnen und Zahnärzte wegen Zulassungsbeschränkungen beispielsweise in München nach Sachsen-Anhalt kommen? Wir erachten die Wiedereinführung von Niederlassungsbeschränkungen als einen weiteren Frontalangriff auf die Zahnärzteschaft. Niederlassungsbeschränkungen beschneiden die zahnärztliche Freiberuflichkeit ebenso wie auch das Recht der Patientinnen und Patienten auf freie Zahnarztwahl.

Hört man die anhaltenden Klagen der Kassenärztlichen Vereinigung sowie der Patientinnen und Patienten, tragen die Beschränkungen in keiner Weise dazu bei, das Versorgungsproblem insbesondere im hausärztlichen Bereich zu lösen oder zu verringern. Selbst der G-BA kommentiert – bezogen auf die Wirksamkeit der Bedarfsplanung im vertragsärztlichen Bereich, in der Zulassungsbeschränkungen nach wie vor Bestand haben – wie folgt: „Das Problem, dass Sitze aufgrund fehlender Interessentinnen und Interessenten nicht besetzt werden, löst die Bedarfsplanung […] nicht.“

Dennoch möchten Sie eine länderübergreifende Initiative zur Wiedereinführung von Zulassungsbeschränkungen in der vertragszahnärztlichen Versorgung anstoßen und stützen sich dabei auf Äußerungen des Präsidenten der Bundeszahnärztekammer, Herrn Prof. Dr. Christoph Benz. Dieser erklärte, befragt für die Tagesschau am 05.02.2024, dass in der zahnärztlichen Versorgung „kein Mangel an Köpfen, sondern ein Verteilungsmangel“ bestehe. Zugleich werden in dem Beitrag allerdings auch die Forderungen nach finanziellen Anreizen und der Unterstützung durch die Kommunen vor Ort zitiert, um die Ansiedlung im ländlichen Raum attraktiver zu gestalten. Diese Information habe ich in Ihrer Rede vermisst. Man könnte natürlich auch die Frage stellen, ob nicht zu Angelegenheiten der vertragszahnärztlichen Versorgung der Vorstand der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (qua Sicherstellungsauftrag) ein noch besser gewählter Ansprechpartner und damit auch ein stärkeres Fundament für Ihre Argumentation gewesen wäre. Doch darauf möchte ich verzichten.

Stattdessen möchte ich noch einmal die Zahlen bemühen: Nach dem statistischen Jahrbuch der KZBV ist die Zahl der niedergelassenen Zahnärzte in Deutschland rückläufig. Von 2015 bis 2022 wurde ein Rückgang von über siebentausend Kolleginnen und Kollegen verzeichnet. Natürlich darf man die Zunahme angestellter Zahnärzte im gleichen Zeitraum nicht außer Acht lassen. Bei Betrachtung der insgesamt behandelnden Zahnärzte entspricht das Niveau in Deutschland heute in etwa dem Stand von 2015. Aber wir wissen auch, dass viele Angestellte lediglich als Teilzeitkräfte tätig sind. Darüber hinaus ist der Altersdurchschnitt der Vertrags- und angestellten Zahnärzte in Deutschland in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich angestiegen. So sehen die geburtenstarken Jahrgänge ihrem Ruhestand entgegen und die jüngeren Altersgruppen zwischen 45 und 55 Jahren können in der Zahl nicht durch das Aufrücken der unter 45-Jährigen kompensiert werden. Das bedeutet: Vieles von dem, was in Sachsen-Anhalt bereits schmerzliche Realität ist, wird somit in naher Zukunft auch in anderen Bundesländern zum Problem. Die Steuerung von Zulassungen führt lediglich dazu, den Mangel von A nach B zu verschieben.

Die Wiedereinführung von Zulassungsbeschränkungen würde zudem eine weitere Bürokratisierung des ohnehin schon von Bestimmungen und Regulierungen geplagten vertragszahnärztlichen Sektors verursachen.

Dem Nachwuchsmangel können wir nur begegnen, indem wir mehr positive Anreize setzen und die freiheitliche Berufsausübung fördern. Zulassungsbeschränkungen stehen dem diametral gegenüber. Sie erhöhen allein das Risiko, dass junge Menschen wegen übermäßiger Regulierung und fehlender Planbarkeit ihrer Karriere alternative Berufe ergreifen, ins Ausland abwandern oder ausschließlich privatzahnärztlich tätig werden.

Die KZV Sachsen-Anhalt setzt seit einigen Jahren beträchtliche Ressourcen ein, um die Sicherstellung der zahnärztlichen Versorgung in Sachsen-Anhalt zu gewährleisten. In Ihrer Stellungnahme legen Sie uns nahe, die nicht ausgeschöpften finanziellen Mittel im Strukturfonds nach § 105 SGB V zur Finanzierung von Eigeneinrichtungen zu nutzen. Hierzu ist anzumerken, dass die Mittel aus dem Strukturfonds in den ersten Jahren des Bestehens nur teilweise verausgabt werden konnten, da viele der heute über den Strukturfonds realisierten Maßnahmen zunächst konzipiert, umgesetzt und etabliert werden mussten. Zu beachten ist auch, dass die Ausgaben für Stipendienprogramme sich über die Jahre kumulieren. Uns ist zudem daran gelegen, Förderprogramme – so sie genutzt werden – über einen längeren Zeitraum ausschreiben zu können. Das erfordert eine gewissenhafte Planung des Mitteleinsatzes. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass der Strukturfonds in seiner Höhe an die Gesamtvergütung für die vertragszahnärztlichen Leistungen und damit auch an die Anzahl der Leistungserbringer gekoppelt ist. Wenn in den nächsten Jahren hunderte Zahnärztinnen und Zahnärzte aus der Versorgung im Land ausscheiden, werden auch die Mittel im Strukturfonds erheblich zurückgehen.

Im Übrigen sind Eigeneinrichtungen eine Maßnahme, deren Umsetzbarkeit die KZV LSA bereits intensiv prüft. Bereits umgesetzt haben wir u.a. auch eine Förderung für die Beschäftigung von Vorbereitungsassistenten – diese haben Sie sicherlich gemeint, als sie von Zahnärzten im Praktikumsjahr sprachen – um noch mehr Kolleginnen und Kollegen, gerade in den versorgungsschwächeren Regionen des Landes, für die Ausbildung unseres Nachwuchses zu gewinnen.

Ich möchte abschließend erneut betonen, dass wir die Versorgungsproblematik nicht ohne unterstützende Anstrengungen der Landesregierung bewältigen können. Dass die im Rahmen des Gesundheitskabinetts vom 21. November 2023 verabredete Arbeitsgruppe, die sich unter anderem mit den wesentlichen Fragen zu zukünftigen ärztlichen und zahnärztlichen Bedarfen, der Verbesserung von Bleibequoten im und nach dem Studium sowie der Bindung von Fachkräften befassen soll, im Februar 2024 nun auch konstituiert wurde, begrüße ich in diesem Zusammenhang sehr. Ich erhoffe mir für die Zukunft, dass die Austausche in der AG noch mehr Dynamik entwickeln, sodass der Brisanz des Themas auch Rechnung getragen wird. Dass jedoch bereits, bevor die Arbeitsgruppe ihre Arbeit tatsächlich aufnehmen konnte, das federführende Ministerium auf eigene Faust eine Initiative zur Wiedereinführung von Zulassungsbeschränkungen im vertragszahnärztlichen Bereich verkündet, hat mich verwundert.

Mithin stellt sich uns in diesem Zusammenhang dann die Frage, warum die Vorschläge, die Ihnen unsererseits bereits mehrfach unterbreitet wurden, bisher keine Beachtung gefunden haben. Viele dieser Anregungen lassen sich ohne großen Aufwand schnell umsetzen, zumal wir Ihnen – wie bei der Umsetzung der Landzahnarztquote – jederzeit beratend und unterstützend zur Seite stehen.

Gerne biete ich Ihnen an, unsere Einschätzung zur Versorgungslage, zur Nachwuchsproblematik und zu möglichen Maßnahmen in einem gemeinsamen Gespräch noch einmal zu erläutern und zu vertiefen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jochen Schmidt
Vorsitzender des Vorstandes

 

Die Stellungnahme als Download: